Donnerstag, 3. Dezember 2009

Der Spieler

Ich krame in meinen Taschen. Kann kein Ticket vorzeigen. Aber ich muss an der Haltestelle raus. Die Dame reagiert gereizt. Ich nenne sie in Gedanken "den Terrier", denn sie hat etwas Bissiges- Der Berti Vogts unter den Fahrscheinkontrolleuren. Ich drücke ihr nach Aufforderung meinen Personalausweis in die Hand, stürze aus der Tür und fordere sie auf, sich zu beeilen, mit auszusteigen. Im nächsten Moment ein ziemlich verdutzter Blick der Dame, die mich hinter geschlossenen U-Bahntüren anglotzt, und auf den Gleisen in Richtung Tunnel verschwindet. Ein grünes Dokument in ihrer Hand. Leider kommt sie nicht mehr zurück.

Wegen diesem Vorfall bin ich heute im Kundenzentrum der Münchner Verkehrsbetriebe. Circa 45 Minuten. Von einer Kollegin an die nächste überwiesen, welche mir dann erklärt, mein Ausweis befände sich entweder im Fundbüro oder im Schreibtisch ihrer Chefin. Die habe aber schon längst Feierabend. Mit leeren Händen mache ich mich wieder auf den Heimweg. Alles Scheiße.

"Alles Scheiße, Bruder" höre ich hinter mir. Ein schmächtiger Nordafrikaner steht plötzlich neben mir und gibt meinem Gedanken Ausdruck. Er ist keine 30 Jahre alt, hat eine braune Wollmütze auf dem Kopf und trägt eine Jacke im Camouflage-Stil. Anfangs scherze ich etwas mit ihm, aber als er sagt "das Leben soll vorbei sein" höre ich ein stärkeres Problem raus. Ich hake nach. Er deutet mit dem Zeigefinger auf seine müden Augen. "14 Stunden. Ich war 14 Stunden am Automaten. Habe 600 Euro verloren."

Ein Spieler also. Ein Zocker. Ich habe mich oft damit gebrüstet, nie auch nur eine Münze in ein solches Gerät geworfen zu haben. Ich war schon bei der Brotvermehrung Jesu Christi skeptisch und konnte auch die Geschichte von der Geldvermehrung durch blinkende und dudelnde Spielautomaten nicht glauben.

Der Afrikaner, nennen wir ihn einfach "Mo", war drei Tage unterwegs und ist von Spielhölle zu Spielhölle gewandelt. Jetzt ist er übermüdet, depremiert und bankrott. Er erzählt mir von seiner Sucht. Alles habe angefangen als er mit sechs Euro in der Hand vor einen Spielautomaten stand. Die Leute rieten ihm ab. Es sein ein schlechter Automat. Mo hat 800 Euro aus dem Ding gemolken. Natürlich glaubte er nach so einem Erfolg, er hätte Macht über die leuchtenden Knöpfe, aber in Wirklichkeit sind sie es, die immer mehr Macht über den Spieler haben.

Gier und Neid sind die zwei hässlichen Antriebe für einen Zocker. Wenn man einmal gewinnt will man immer mehr und wenn man sieht, dass sein Nachbar gerade 3000 Euro geholt hat, dann will man ihn übertrumpfen. Am Ende ist man immer pleite. Die Leute verlieren alles: Ihr Auto, ihre Familie, ihren Job. Sie werden hochgradig depressiv und unberechenbar. "Ich bin aber nicht süchtig, ich kann blos nicht aufhören," schließt Mo mit einem Augenzwinkern, das in der Müdigkeit jeden Witz verliert.

Das Glücksspiel bestimmt sein Leben. Es kontrolliert jeden seiner nächsten Schritte und hat ihn komplett vereinnahmt, das weiß er. Es wird das Erste sein, was er tut, wenn er sich nach dieser letzten Tour ausgeschlafen hat. "Ich könnte mit dem Spielen aber leichter aufhören als mit dem Rauchen." Ich weiß nicht, ob ich diese Aussage für bare Münze nehmen soll.

Unsere Wege trennen sich am Marienplatz. Für zehn Minuten gewährte mir ein Mann Einblick in eine Welt, die noch viel schwieriger zu fassen ist als Drogenabhängigkeit. Er verabschiedet sich mit einem Lächeln, hinter dem sich Übermüdung und Frustration verborgen halten. Ich kann nur erahnen, mit was für Problemen andere Leute zurecht kommen müssen, wenn sie abhängig sind.

Ich wünsche dir einen guten Weg, Mo.

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