Sonntag, 15. November 2009

Stress 2.0

Noch drei Minuten bis die S-Bahn eintrifft. Auf der Rolltreppe fällt mir ein, dass ich eine Fahrkarte brauche. Also nochmal runter zum Automaten. Ich habe das Münchner Tarifsystem für die öffentlichen Verkehrsmittel noch immer nicht ganz verstanden und versuche mich anhand der Grafiken und Tabellen im Schaukasten zurechtzufinden.

Plötzlich ruft jemand lauthals meinen Namen. Die Art des Ausrufes liegt irgendwo zwischen "wichtig" und "Katastrophe", kommt scheinbar von meinem Anhang, der sich schon am Gleis eingefunden hat. Ich laufe also wieder zur Rolltreppe, blicke fragend nach oben und erblicke meine Schwester, die eine Handbewegung macht, in die ich "falscher Alarm" hineininterpretiere.

Zurück zum Fahrkartenautomaten. Ein Mann in Jeanskluft hat meine Abwesenheit als Chance ergriffen, selbst herauszufinden welches Ticket für ihn wohl das sinnvollste wäre. Er drückt auf verschiedenen Knöpfen herum, brummelt mehrmals "Hmmm" vor sich hin, bis er mich hilflos anschaut und verzweifelt "Kurzstrecke" sagt. Ich zeige ihm den richtigen Button und er erledigt seinen Zahlvorgang.

Ich bin an der Reihe, hole aus meinem Geldbeutel einen widerlichen Fünfer, der sicherlich schon zahlreiche Transfers hinter sich hat. Ein wirklich hässliches Exemplar. Zerknüllt, weich und mit einem fettigen Film bedacht. Ich kenne die Sensibilität des Automatenschlitzes, wenn es um solch mässig-qualifiziertes Papiergeld geht. Um mir die Verweigerung zu ersparen, will ich ihn zwischen den Fingern glatt streichen und -zack-, reiße ihn in zwei gleich große Hälften. Das ist mir auch noch nicht passiert.

Ein großes "Scheiße!" müsste meinen Kopf erfüllen, die Faust gegen den Automaten hämmern oder ähnliche unvernünftigen Aktionen folgen. Stattdessen flitzt ein selbstironisches Lächeln über mein Gesicht. Ruhig und schnell zugleich das Kleingeld überprüft, eingeschmissen, das Rattern abgewartet, Fahrkarte entnommen, Rolltreppe genommen und zu meiner Schwester in die S-Bahn gestiegen, welche pünktlich abfährt.

Alles ist cool. Neben dem potentiellen Amoklauf an einer Supermarktkasse scheint sich mittlerweile eine andere Lösung anzubieten, mit Stress fertig zu werden. Diese Möglichkeit hat etwas mit innerer Ruhe und Gelassenheit zu tun.






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